wuerde

Installation von Andreas Stetka im Maximiliansforum
München. 01. 03. 01 - 11. 03. 01


Auch große Worte und Sätze sind zerbrechlich. Besonders das menschenrechtliche Gebot, die Inschrift über dem Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".

Andreas Stetka hat diesen Satz und diese Wörter auseinandergenommen, um zu erproben, was das Buchstabenmaterial außerdem noch hergibt. Das alte Spiel des Anagramms. Das Spiel mit großen Sätzen hat immer etwas Blasphemisches. Allerdings kommt dabei die Kehrseite zum Vorschein, die Wirklichkeit, das "Bordell der Möglichkeiten" (Valéry). Im Schatten des Ideals wuchern die Widersprüche, überraschend, bilderreich, irrwitzig, deutlich:
"wie bieder stand uns deutsche mannesart ... werbende industrie macht tausende nass ... umnachtet starb das wissen duenner eide ... und manch nutte die weiss da besseren rat"
Das ehrwürdige Gebot von der Menschenwürde zerfällt in zahllose widersprechende, hohnsprechende Möglichkeiten. Das Ideal zerstäubt in der Wirklichkeit.
Die Projektion der Sätze unterstreicht die Wandelbarkeit, die Manipulierbarkeit des sprachlichen Materials. Sprache in den Raum gestellt. In der Schrift an der Wand zeigt sich ein sprachliches Flackern, Aufflackern und Verlöschen von Bedeutungen: die Wandelbarkeit der Dinge, wie schon im barocken Gebrauch des Anagramms.
Dem Kardinalsatz wird die Anarchie des Allzumenschlichen entgegengestellt: Entropisches Gewimmel, geschöpft aus dem gleichen Buchstabenpool, aber drastisch, brutal, obszön. Ein Text, ein Sermon, ein Vokabelrausch, der eine wüste menschliche Komödie evoziert.



Oliver Herwig_:
Süddeutsche Zeitung, 01.03.2001, S. 4

"Es klingt so schön, so hehr: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. " Worte wie diese sind für die Ewigkeit. Ihre Halbwertszeit spüren wir jedoch täglich. Wenn sich ein Künstler mit dem Grundgesetz auseinandersetzt, wenn er die Haltbarkeit seiner Worte und ihres Sinns testet, ist das immer eine Gratwanderung. Andreas Stetka hat sie gewagt. Er misstraut dem schönen Schein und zerlegt den Gesetzestext. Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe. Wie ein Feinmechaniker, der etwas vom Innenleben der Worte freilegt. Und damit unerwartete neue Sinnzusammenhänge schafft. Stetkas Anagramme sind Neuschöpfungen aus dem Buchstabenmaterial. Wie buchstabiert man "w u e r d e"? Oder "m e n s c h"? Was passiert, wenn man an ehernen Gesetzen rührt? Womöglich zerfallen die Maximen zu einem Buchstabensalat, den niemand mehr hinkriegt. Wie den armen Humpty Dumpty auf der Mauer. Stetkas Buchstabenrätsel geben aber neuen Sinn. Aus "Die Würde des Menschen ist unantastbar" wird etwa "Wie bieder stand uns deutsche Mannesart" oder "Und manch Nutte die weiss da besseren Rat". Diese Umdeutungen werden nun an die kahlen Wände des Maximiliansforums projiziert. Stetka möchte uns den Sprachboden unter den Füßen wegziehen und schauen, wie wir reagieren. Was bleibt, wenn alles gesagt ist? "Bildreiche Sätze, Buchstaben wie Farbe", meint der Münchner Künstler, der offenbar manchen vors Schienbein tritt. Nicht derb, schließlich brauchen wir allen einen kleinen Anstoß."


© Andreas Stetka